Abschiebung ist für Asylsuchende ein Albtraum

„Verwaltungsakt Aufenthaltsbeendigung“ nennen es die Behörden, Abschiebung sagen Flüchtlingshelfer, und für die Betroffenen ist es ein Albtraum. Für den kleinen Helferkreis rund um die Gemeinschaftunterkunft des Amtes Auenland Südholstein, den Robinienhof, war das Entsetzen groß, als er innerhalb von wenigen Tagen machtlos zusehen musste, wie einige Schützlinge von der Polizei abgeholt, zum Flughafen gebracht und ausgeflogen wurden. „Ich war völlig am Ende“, sagte Kristin Pridat, seit einigen Monaten Flüchtlingskoordinatorin des Amtes im Mini-Job. Auf einen Anruf hin war sie einer Familie aus Afghanistan zur Hilfe gekommen, die aus ihrer Wohnung auf einem Bauernhof in Hasenmoor abgeholt wurde. „Und das mit drei kleinen Kindern, von denen das älteste gerade eingeschult werden sollte“, schilderte Kristin Pridat bei einem Treffen des Helferkreises.

 

Sie und ihr Kollege Bernd Birkholz, Minijobber in der Gemeinde und im Amt, hatten die teilweise seit 2015 engagierten Helferinnen und Helfer eingeladen, um sich die Erfahrungen von Flüchtlingsrat und Abschiebemonitoring der Diakonie am Hamburger Flughafen anzuhören. Martin Link, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein, hatte den Rechtsberater des Vereins, Axel Meixner, mitgebracht und Marziya Ahmadi, die ein Programm speziell für Frauen aus Afghanistan betreut. Als Abschiebebeobachter war Moritz Reinbach gekommen, der die betroffene Familie noch kurz am Flughafen sprechen konnte, bevor nach Barcelona fliegen mussten. Einen Tag vor Ablauf des Dublin Stichtages. Am Tag darauf wäre Deutschland für das Asylverfahren der Familie zuständig gewesen, die genau vor einem Jahr mit einem der letzten Flugzeuge aus Kabul für Ortskräfte ausgeflogen worden waren.

 

„Rund 180 Abschiebungen habe ich bisher erlebt“, schilderte Reinbach. Diese habe herausgestochen. Dass jemand am letzten Tag abgeschoben wird, habe den Vorgang besonders dramatisch gemacht. In Barcelona hatte die Familie zwei Tage in einer Unterkunft verbracht, bevor Spanien feststellte, dass der Dublin Stichtag vergangen war. Sie fühlten sich nicht mehr zuständig und setzen Eltern und Kinder buchstäblich auf die Straße. Kristin Pridat schilderte, dass sie nur abends einen Schlafplatz hatten und sich tagsüber ohne Geld in der Stadt aufhalten mussten. Es jetzt, 7 Wochen später, sei es gelungen, sie durch eine Hilfsorganisation in einem Hotelzimmer unterzubringen.

 

Der zweite Abschiebevorgang betraf einen 27-jährigen Syrer, der bereits 2014 über Bulgarien nach Deutschland gekommen war. Ihm hatte man bei seiner ersten Station in Halberstadt seinen syrischen Pass abgenommen, später in Magdeburg noch seinen Militärpass. Wegen des Krieges und der Einberufung hatte er seine Heimat verlassen. Über Boostedt war der junge Mann, Abiturient mit vielfältigen Sprachkenntnissen, in Hartenholm gelandet. Mehrmals hatte er sich um Arbeit gekümmert, zuletzt 2021 einen Ausbildungsvertrag bei einem Optiker in Norderstedt erhalten. Doch der Kreis Segeberg hatte eine Arbeitsgenehmigung jedes Mal abgelehnt, schließlich auch den Antrag auf Ausbildungs-Duldung.

 

Stattdessen kam jetzt die Rückführung nach Bulgarien. Vorangegangen war ein Urteil am Verwaltungsgericht Schleswig, das bei dem Betroffenen seine Bleibegründe nicht anerkannt hatte. Das Urteil hatte er am 18. Mai erhalten, die ihm bei der Abschiebung ausgehändigten Papiere machten deutlich, dass bereits am 5. Mai in Bulgarien wegen seiner Abschiebung nachgefragt wurde. Und am 12. Mai wurde in Boostedt ein europäisches Reisedokument auf seinen Namen ausgefüllt, am 14. Juni der Platz im Flugzeug gebucht. Sollte der junge Mann nach einer Einreisesperre in 36 Monaten noch einmal versuchen nach Deutschland einzureisen, um seinen Bruder zu besuchen oder hier eine Arbeit zu beginnen, muss er damit rechnen, die Abschiebung nachträglich zahlen zu müssen. „Da kommt schnell eine vierstellige Summe zusammen“, bestätigte Moritz Reinbach.

 

Die Gäste gaben den ehrenamtlichen Helfern viele Tipps und Hinweise, wie bei deren anderen Schützlingen solche Situationen schon im Ansatz verhindert werden könnten. „Sich ganz genau vorhandene Papiere anschauen, möglichst schon bei der ersten Anhörung dabei sein, das Protokoll gut lesen, vergessene Punkte schnell nachmelden und fähige Anwälte suchen“, lautete ihr Rat.

 

Sie machten klar, dass sie jederzeit für Beratungen zur Verfügung stünden, verwiesen auf zahlreiche Publikationen, zum Teil auch in unterschiedlichen Sprachen. Sie stimmten mit den Anwesenden überein, dass die Ausländerbehörde es Kreises Segeberg eine besonders restriktive Linie anwende. Vielerlei Beschwerden trugen die Helferinnen und Helfer vor , die im Ergebnis mit dem Rat endeten: Untätigkeitsklage. Aber auch das wurde gleich wieder eingeschränkt mit dem Hinweis darauf, dass es vor dem Gericht in Schleswig bereits 120 davon gebe. Überall im Land seien geschilderte Zustände mit langen Wartezeiten, immer wieder neuen Anforderungen und keinen pragmatischen Lösungen Standard.

 

„Wie kann man dabei den Glauben an den deutschen Rechtsstaat behalten“? fragte eine pensionierte Lehrerin, die das kleine Mädchen aus Afghanistan mit Deutschstunden für die Einschulung fit gemacht hatte. Zur Antwort mussten auch die eingeladenen Experten mit der Schulter zucken. Über die Bedeutung von Menschenrechten entscheiden allein die Gerichtsinstanzen und nicht der gesunde Menschenverstand. „In Schleswig liegen die für Länder, in die abgeschoben wird, bei Bett, Brot und Seife“, sprach Axel Meixner die für Abgeschobene bittere Wahrheit aus.

Im Hartenholmer Dörpshuus gaben Abschiebebeobachter Moritz Reinbach (links) sowie Martin Link (ab 4.v.l.), Axel Meixner und Marziya Ahmadi dem Hartenholmer Flüchtlings-Helferkreis und den beiden Koordinatoren Kristin Pridat und Bernd Birkholz jede Menge Hinweise zum Thema Abschiebung.

Foto: Helferkreis Hartenholm